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The Everest Journal

von Theresa DiMartini Dezember 18, 2022 4 Minuten Lesezeit

Titelbild Quelle: @tito_ogami (Instagram)

Wer sich für Uhren interessiert oder sich mit der Branche auseinandersetzt, stößt zwangsläufig an der einen oder anderen Stelle auf die sogenannte Quarzkrise. Doch um was für eine Art Krise handelte es sich konkret? Warum entstand sie und was bedeutete diese Zeit für die Uhrenbranche? Für euren Überblick fassen wir die wichtigsten Gründe und daraus resultierenden Entwicklungen zusammen.

Überblick

Bevor es zu der Quarzkrise kam, hatten Armbanduhren längst die bis Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Taschenuhren abgelöst. Bis in die 1960er Jahre hatte man sich mit Herzblut auf die Entwicklung und Spezialisierung mechanischer Uhren konzentriert. Das Zentrum dieser Entwicklung lag selbstverständlich in der Schweiz. Hier stammten 95% der weltweit abgesetzten mechanischen Uhren her. Insbesondere den bekannten Marken Rolex, Omega und Breitling gelang in der Aufschwungphase nach dem zweiten Weltkrieg der internationale Durchbruch.

In dem von der Nachkriegszeit geprägten und geteilten Deutschland dauerte die Entwicklung länger. Doch Unternehmen wie Hanhart, Sinn, Junghans oder Glashütte hatten jeder für sich ein Spezialgebiet, in welchem sie erfolgreich Fuß fassen und damit den Grundstein für späteren Erfolg legen konnten. Ebenso wie Deutschland war auch Japan stark von den Folgen des Krieges getroffen. Doch mit wirtschaftlichem Aufschwung und wieder ansetzendem wirtschaftlichem Handel konnte auch Japan sein know-how und seine Expertise erforschen und entwickeln. In diesem Zusammenhang sind die Marken Seiko und Orient unbedingt zu erwähnen. Sie prägten das Bild japanischer Uhren nachhaltig.

All diese Hersteller hatten neben besonderer Komplikationen, herausragender technischer Eigenschaften und hoher Qualität natürlich alle ein weiteres gemeinsames Ziel. Sie wollten möglichst präzise und langlebige Uhren herstellen. Letzteres ist wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen für die Funktionalität mechanischer Zeitmesser, die sich bekanntermaßen über einen längeren Zeitraum verstellten. Bei nicht wenigen Modellen konnte diese Abweichung mehrere Minuten im Jahr betragen. Weitere erschwerende Faktoren sind der manuelle Aufzug der Uhren sowie der vergleichsweise hohe Preis.

Der Durchbruch der Quarzuhren

In den 70er Jahren gelang den Quarzuhren der Durchbruch. Mit Einführung der Seiko Astron im Jahre 1969 und damit der ersten kommerziell produzierten Quarzuhr, startete eine nicht vorhersehbare Erfolgswelle.

Angetrieben von den oben genannten negativen Aspekten einer mechanischen Uhr, wie der Genauigkeit, dem manuellen Aufzug und dem hohen Preis, bereiteten Quarzuhren diesen Problemen ein Ende. Statt Qualität, Handwerkskunst und Komplikation wurde hauptsächlich auf die Genauigkeit und den Preis geschaut. Immer mehr Menschen stellten sich die Frage, warum sie denn wesentlich mehr Geld für eine Uhr ausgeben sollte, die manuell aufgezogen werden muss und auch noch ungenauer läuft. Schweizer Uhren galten schnell als altbacken, ungenau und überteuert. Aufgrund des niedrigen Preises wurde zudem einer viel größeren Masse der Zugang zu Uhren ermöglicht. Kombiniert führten diese Faktoren zum weltweiten kommerziellen Durchbruch der Quarzuhren.

Mit Aufschwung der Quarzuhren und sinkendem Absatz der mechanischen Uhren bedeutete dies eine existenzbedrohende wirtschaftliche Krise für traditionelle Unternehmen der Branche.

Bildquelle: @tito_ogami (Instagram)

Nebenbei sei erwähnt, dass die Quarzuhr keineswegs in Japan erfunden , sondern von einem Konsortium Schweizer Uhrenhersteller entwickelt wurde. Der Erfolg blieb hier jedoch zunächst aus.

Die Uhrenwelt während der Quarzkrise

Aufgrund des fehlenden Absatzes gerieten manche Hersteller mechanischer Uhren vergleichsweise schnell in wirtschaftliche Schieflage. Besonders kleinere Manufakturen waren schnell von Insolvenzen betroffen oder mussten sich anderweitig um die Kaptialbeschaffung bemühren. In dieser Zeit büßte die Branche 2/3 ihrer Beschäftigten und Markenvielfalt ein. Als etablierter Uhrenhresteller überlebte in den USA beispielsweise lediglich die Firma Timex die Quarzkrise.

Größere und gefestigtere Unternehmen konnten ihre Kompetenzen jedoch erweitern und versuchten auf die Erfolgswelle der Quarzuhren aufzuspringen, indem sie ihre eigene, luxuriöse und technsich anspruchsvollere Version herausbrachten. Dazu gehören natürlich Audemars Piguet, Patek Philippe, Girard-Perregaux, Tag Heuer und Rolex.

Ein Beispiel ist hier die Rolex Oysterquartz Datejust von 1977. Sie besaß ein hauseigenes Werk, welches eines der weltweiten besten Quarzwerke sein sollte und viele mechanische Komponenten des bestehenden Baukasten von anderen Rolexmodellen übernahm.

Bildquelle: @anthonyleung511 (Instagram)

Besonders interessant ist auch die Geschichte von Swatch während der Krise. Mit Hilfe des Unternehmens Nicolas George Hayek wurden die Marken von unterschiedlichen Unternehmen vereint und eine neue Uhrenkollektion entwickelt. Ziel war es, Schweizer Qualität zum niedrigen Preis anzubieten, um so effektiv und konkurrenzfähig gegen die Verbreitung billiger Quarzuhren vorgehen zu können. Mit günstigen Automatikwerken und Quarzuhren in schrillen und bunten Kunststoffgehäusen unter dem Namen "Swatch" war nicht nur eine neue Marke, sondern ein wahrer Kult geboren. Obwohl dies absolut ungewöhnlich für die traditionelle Schweizer Uhrenbranche war, bestätigte sich Anfang der 80er Jahre sehr schnell der Erfolg. Eine Swatch wurde nicht nur zu einem Accessoire, sondern insbesondere zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für die Quarzuhren aus Fernost. Schweizer Uhren waren damit nicht mehr "langweilig", sondern trugen nachhaltig zum Erfolg der mechanischen Zeitmesser bei, die die Swatch Group nebenher und im Nachhinein entwickelte. 

Ein interessantes Beispiel für kreativen Unternehmersinn und die Schaffung von Synergien ist in diesem Zusammenhang die Kooperation von Breitling und Sinn. Um an Kapital zu gelangen und eine Unternehmenskrise zu vermeiden, veräußerte Breitling Rechte, Maschinen und Lagerbestände rund um den berühmten Navitimer. Unter anderem dadurch konnte Breitling als Unternehmen weiteragieren. Sinn nutzte diese neuen Ressourcen und entwickelte eine Uhr, die heutzutage nicht mehr aus der deutschen Uhrenwelt wegzudenken ist: Die Sinn 903.

Bildquelle: @watch_out_germany (Instragram)

Die Folgen der Quarzkrise

Nach der Quarzkrise führten insbesondere die Unternehmen Blancpain, Rolex und Chronoswiss die Renaissance der mechanischen Uhren an. Eine der wichtigsten Fürsprecher dieser Uhrenart war natürlich Jean-Claude Biver, der die Namensrechte für Blancpain von Omega kaufte und die Marke wiederbelebte. Daraufhin entwickelte sich ein neuer und völlig eigener Markt für mechanische Uhren, der sich wieder auf die Qualität und Fertigungskunst konzentriert.

Die Folgen der Quarzkrise sind damit natürlich vielfältig und komplex. Neben eines völlig neuen Bildes der Uhrenbranche ist auch der Einsatz von Quarzwerken in Luxusuhren eine der Folgen dieser schwierigen Zeit. Quarz- und mechanische Werke haben beide ihre völlig eigene Berechtigung und bedienen unterschiedliche Zielgruppen, ohne in direktem Konkurrenzverhältnis zueinander zu stehen. Zudem haben sich eigene, mächtige Konzerne gebildet, die heute Großteile des gesamten Marktes kontrollieren und zum Teil viele Uhrenmarken unter sich vereinen. Dadurch entstand ein Konkurrenzdruck, der weltweit auf die Welt der Uhren wirkt und gerade nicht nur die Schweiz als ehemaliges Zentrum der Uhrmacherkunst umfasst.

Insgesamt haben die Entwicklungen während und nach der Quarzkrise den heutigen Luxusuhrenmarkt nachhaltig geprägt. Heute ist die Uhrenbranche erfolgreich wie nie und verzeichnet trotz Corona-Pandemie und Schwierigkeiten in der Lieferkette Jahr für Jahr neue Rekorde.

Wir hoffen, dass euch dieser Überblick gefallen hat. Ähnliche Artikel und neue Entwicklungen in der Uhrenwelt findet ihr auf dem Everest Blog.

 

Theresa DiMartini
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